Das Altenheim

Im Altenheim hört das Leben nicht auf. Das zeigt diese Reihe in vier Folgen. Im Oldenburger “Seniorenstift Ofenerdiek”, idyllisch am See gelegen, geht es jeden Tag rund. 170 Bewohner müssen versorgt werden, mit sieben Mahlzeiten am Tag.
Betreutes Wohnen ist eine menschliche und logistische Herausforderung. Das Altenheim funktioniert wie ein kleines Dorf: mit Friseursalon, Café, Restaurant und Bastelzimmer. Freude, Trauer, Liebe, Streit, Versöhnung, Klatsch und Tratsch - hier ist alles wie im richtigen Leben: Frühmorgens trifft sich die Nordic-Walking Truppe und abends wird ums Fernsehprogramm im Gemeinschaftsraum gestritten. Dazwischen Gedächtnis-Trainig, Malstunde, Yoga, Chor, Ausflüge und - hoffentlich bald, Besuch vom Enkelkind. Im Altenheim ist immer was los. Dagegen sieht die Schwarzwaldklinik alt aus.


FOLGE 1: Wer rastet, der rostet

Ganz Deutschland redet über Führerscheintests für alte Menschen. Doch darüber kann Marianne Dohrmann nur müde lächeln. Sie ist 85 Jahre alt und, wie sie selbst sagt, begeisterte Sportwagenfahrerin: „Ich fahre genauso sicher wie vor zwanzig Jahren, als ich mein Auto neu gekauft habe.“
Gleich nach dem Einsteigen in ihr rotes Sportcoupe lässt sie als erstes den Motor aufheulen. Nur auf den Kavalierstart verzichtet sie heute. „Mein Auto hat 140 PS, Breitreifen. Servolenkung hab' ich nicht. Brauch' ich auch nicht“, strahlt sie. Dann düst sie los, mit 160 Sachen über die Autobahn. Auf der linken Spur.
Auch das Ehepaar Kämper macht an diesem Tag einen Ausflug. Den ganzen Morgen schon werden Landkarten gewälzt. Es geht ins zwanzig Kilometer entfernte Wiefelstede. Dafür sind inklusive Sightseeing fünf Stunden eingeplant. Ganz gemächlich. Ohnehin ist Herr Kämper im Laufe der Jahre ein bisschen langsamer geworden. Siebzig Stundenkilometer auf der Autobahn sind guter Schnitt – da überholt auch schon mal ein genervter LKW-Fahrer. „Uns kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen“, sagt Bernhard Kämper und schüttelt den Kopf: „Die ganzen Drängler und Raser, die sind doch alle lebensmüde.“
Früher ist er Käfer gefahren, heute BMW mit vielen Knöpfchen. „Früher war Autofahren einfacher“, findet Kämper: „Der ganze Elektronik-Schnickschnack ist schon etwas kompliziert.“
So ein Ausflug ist für das Ehepaar Kämper nur dann wirklich gelungen, wenn er seinen krönenden Abschluss am Nachmittag zu Hause im Seniorenheim findet: im Café von Günther Probst. Da wird Malefiz gespielt, geknobelt und natürlich vom Ausflug nach draußen berichtet. Ehepaar Kämper sitzt immer an Tisch 9, gleich neben den drei Damen, die auch immer da sind. „Noch vor einem Jahr waren es fünf. So ist es eben im Altenheim“, sagt Café-Inhaber Probst, „Freud und Leid liegen hier eben noch etwas dichter beieinander.“
Früher hat er im Oldenburger Altenheim regelmäßig seine Mutter besucht. Daher weiß er genau, was alte Menschen brauchen: einen guten Kaffee, ein offenes Ohr und die richtige Zeitschrift. Er kennt ihre Lieblingslektüre ganz genau: „Heim und Garten“, "Das Goldene Blatt“ und die „Bunte“ gibt es in seinem Lieferservice direkt zum Appartement. Für Marianne Dohrmann, die 85-jährige Sportwagenfahrerin, hat er schon die Lektüre bereit gelegt: die neue „Auto, Motor und Sport“.


FOLGE 2: Tratsch unter der Trockenhaube

Haare sind hier Nebensache. Wer hat was gesagt am Frühstückstisch? Und welcher Herr
hat ein Auge auf welche Dame geworfen? Friseurin Hannelore Münning kennt wirklich die
allerneuesten Geschichten aus dem Seniorenheim und erzählt auch selbst gerne welche.
„Es gibt zum Beispiel ein Liebespaar hier“, weiß sie zu berichten. Und sie freut sich von ganzem Herzen darüber: „Die beiden haben sich hier kennen gelernt – am Anfang wurde natürlich viel geredet.“ Für den Nachmittag hat sich das Pärchen angemeldet. Unzertrennlich sind die beiden auch beim Friseur. „Oft höre ich aber auch Trauriges“, sagt die Friseurmeisterin, „da muss man dann Feingefühl zeigen. Neulich hat mir eine Bewohnerin von ihrem Arztbesuch erzählt: Krebs.“ Schlimm ist es für die Friseurin, wenn eine Kundin plötzlich nicht mehr kommt – nie wieder.
Doch Frau Münning kann auch viel Lustiges berichten. Seit zehn Jahren betreibt sie den Salon mit Blick in den Garten. Sie ist eine der vielen guten Seelen des Hauses. Im Altenheim bringt der 56-jährigen das Frisieren noch mehr Spaß als draußen. „Weil es für ältere Herrschaften noch wichtiger ist gepflegt auszusehen“, sagt sie. Nur am Anfang musste die Friseurin sich umgewöhnen. Grau oder weiß waren jetzt die Farben, das Haar eher dünn und schwach. Sie nimmt es als kreative Herausforderung. Im Salon für Senioren muss man eben noch mehr können. Die zweite im Laden wird von den Kunden gern „die Junge“ genannt. Schließlich ist sie noch keine fünfzig. Als sie anfing, musste sie sich ihr Stammpublikum hart erarbeiten. Aber ein paar mutige Kunden hat sie schon. Heute gibt es im Salon ein noch aufregenderes Thema als die junge Friseurin mit den wilden Haaren. Denn am Abend geht es ins Nachbarheim. Dort steht eine Kegelbahn, selbst gebaut vom Hausmeister. Nur halb so lang wie eine Standard-Bahn, aber mit eigener Bar. Prost und gut Holz.


FOLGE 3: Am liebsten deftig

Frau Jensen isst immer Bratwurst. Jeden Tag, seit fünf Jahren. Und die Dame aus Zimmer 112
mag ihre Kartoffeln nur gekocht, nicht püriert. Aber für Herrn Merten bitte auf alle Fälle
Püree. Uwe Heckenberg, der Küchenchef des Oldenburger Altenheims, ist ein
geduldiger Mann. Er hat eine große Tafel für die Sonderwünsche. Fünfzehn solcher
Spezial-Bestellungen kommen heute. Denn viele seiner Kunden nehmen es ganz genau
mit dem Essen, zumindest seit sie nicht mehr selber kochen.
Auch sonst muss er seine Küche den Gegebenheiten anpassen. „Nudeln al dente geht hier
gar nicht“, sagt er und schmunzelt. Sowieso bloß nicht italienisch. Senioren mögen es
lieber deftig: „Neulich war Bayerische Woche“, strahlt der Küchenchef, „die ist eingeschlagen
wie eine Bombe.“ Er kocht gern im Altenheim, denn das Essen spielt im Leben der
Heimbewohner eine große Rolle.
Siebzig Menüs muss der Koch jeden Mittag à la Minute zubereiten. Da geht es am Herd schon
mal hektisch zu. Doch von dem Stress darf auf keinen Fall etwas nach außen dringen.
„Das würde unsere Bewohner irritieren“, sagt Herr Heckenberg. Es wird viel genörgelt.
Mal zuwenig Panade, mal zuviel. „Mein Schnitzel hat Frau Petersen noch nie geschmeckt“, weiß
der Koch, „da gibt es wieder Schimpfe, da muss ich durch.“ Weil es allen anderen mundet, macht er sein Schnitzel auch heute so wie immer. Aber Frau Jensen bekommt natürlich Bratwurst.
Mit eingefleischten Gewohnheiten hat auch Jörg Nackenhorst zu kämpfen. Der neue
Pfleger wird noch eingearbeitet, keine leichte Zeit: „Manche der Bewohner freuen
sich richtig, dass sie mal ein neues Gesicht sehen. Aber es gibt auch viele, die Angst haben,
dass ich Dinge etwas anders machen könnte als mein Vorgänger.“ Der frische Altenpfleger muss noch viel lernen: Wo befinden sich die Tabletten für Zimmer 203, wo ist das Hausmeister-Büro und wie soll er bloß den engen Zeitplan einhalten?
Altenpflege ist ein hartes Geschäft und die Zeit ist knapp bemessen. Zwei Wochen
wird Jörg Nackenhorst eingearbeitet. Er hofft, dass er bis dahin alle Herzen hier erobert hat.


FOLGE 4: Die Neue kommt!

Müller & Müller, Irma und Erika, sind das Heimgespann. Hier haben sie sich kennen gelernt und seitdem gibt es immer was zu bekakeln. Jeden Tag ziehen sie gemeinsam ihre Runden durchs Heim, jeden Nachmittag sitzen sie auf „ihrer“ Bank im Foyer. Von diesem Posten aus haben sie alles im Blick, die Heimleiterin hinter der Glaswand und den Friseursalon um die Ecke. Müller & Müller waren es auch, die als erste entdeckt haben: eine Neue zieht ein! Enkel und Söhne der neuen Bewohnerin sind schon am Einräumen, die Dame selbst sitzt noch im Zug Richtung Oldenburg. Sie soll aus Freiburg kommen - eine Süddeutsche! Das wird spannend, da sind sich Müller & Müller einig. Tatsächlich steht im Zimmer der Neuen schon kurze Zeit später ein kleiner Schrank. Ihr Enkel kämpft noch mit den Türscharnieren. Doch vor dem Appartement spielt sich ein Drama ab. Die Sofagarnitur passt einfach nicht rein. Der Enkel ist am Boden zerstört. „Das ist ihr Lieblingsstück!“, sagt er, „was mach ich jetzt bloß?“ Einsatz für die Heimleiterin. Seit 20 Jahren tröstet sie schon in solchen Fällen und sorgt für Abhilfe. Das Sofa kann erst einmal auf den Dachboden. Dort lagern inzwischen ganze Schätze, das komplette Wohnzimmer von Frau Hermann aus Appartement 23 zum Beispiel. Oder das Esszimmer von der Dame aus Nummer 80.

Die NDR-Reihe „Das Altenheim“ zeigt: Im Seniorenstift ist noch lange nicht Schluss!